300 Jahre Presse in Hildesheim 
(Hildesheimer Allgemeine Zeitung)
 

(Ausschnitt ohne Fußnoten aus: Dreihundert Jahre 'Hildesheimer Allgemeine Zeitung'. Traditionsbildung und publizistische Entwicklung einer Heimatzeitung. In: Verlag Gebrüder Gerstenberg (Hg): 300 Jahre 'Hildesheimer Allgemeine Zeitung'. Seitenblicke. Hildesheim 2005, S. 21-49)


Gliederung:

Erster Anlauf

[...]

Anfang des 17. Jahrhunderts war die Stadt Hildesheim nur schlecht mit 
gedruckten Nachrichten versorgt, da sich die Bevölkerung allein mit dem unmittelbaren Nahbereich befasste und nicht für Geschehnisse interessierte, sobald diese wenige Kilometer außerhalb der Stadt abliefen. Nachrichten kamen lediglich mit Briefen oder Reisenden in die Stadt.  1617 erschien in der Domstadt als erste Zeitung die Relation, in der Nachrichten aus europäischen Großstädten zusammengestellt waren. Dieses wöchentliche Nachrichtenblatt wurde vermutlich bis 1632 herausgegeben, wahrscheinlich gefolgt von unterschiedlichen Postzeitungen, in denen der lokale Postoffizier die bei ihm eingehenden Meldungen drucken ließ.  

1705
Als 1705 mit dem Hildesheimer Relations-Courier die 300jährige Zeitungsgeschichte der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung begann, widmete sich diese vom evangelischen Rat der Stadt genehmigte ‚evangelische‘ Zeitung ebenfalls vor allem überregionalen Geschehnissen.  1757 kamen als ‚katholische‘ Konkurrenz die von der katholischen fürstbischöflichen Landesregierung unterstützten Hochstift-Hildesheimische Nachrichten von den neuesten Weltbegebenheiten hinzu, aus denen nach einer Pause 1792 die Hildesheimsche Zeitung hervorgehen sollte. 

Beide Zeitungen berichteten ihren Lesern nicht über Hildesheimer Begebenheiten, sondern über Geschehnisse aus ganz Europa. Einerseits sprachen sich viele örtliche Begebenheiten in der kleinen Stadt auch so herum, andererseits hätte eine lokale Berichterstattung auch sehr schnell den Argwohn der Zensoren erregt.  Diese Befürchtungen bestand bei Berichten über Ereignisse, die außerhalb des Hildesheimer Macht- und Einflussbereiches lagen, nicht. 

Nüchtern und sachlich wurden alle eingehenden internationalen Meldungen, die den Redaktionen aus anderen Zeitungen, durch Reisende oder Korrespondenten bekannt wurden, hintereinander weg gedruckt. Wegen ihres schlichten Inhalts – eine Kommentierung, Erörterung und politische Einordnung fand nicht statt – konnten diese Nachrichtenblätter von der Obrigkeit trotz aller Zensur weitgehend problemlos geduldet werden.  Überschriften gab es nicht, stattdessen wurde am Nachrichtenbeginn lediglich ein Herkunftsort und ein Datum angegeben. Die Zeitungen hatten vier bis acht Seiten und erschienen mehrmals in der Woche, anfangs zwei- und später dreimal wöchentlich. Die Bevölkerung Hildesheims war in dieser Zeit mit der ‚evangelischen Stadtzeitung‘ und der ‚katholischen Landeszeitung‘ sehr gut mit Nachrichtenblättern versorgt. 

Mit diesen beiden Zeitungen öffnete sich für die Hildesheimer erstmals der Horizont weit über das eigene kleine Blickfeld hinaus. Im 17. Jahrhundert, als die Schlachten des 30jährigen Krieges die deutschen Lande verheerten, konnte sich die Bevölkerung mit Hilfe der Zeitungen orientieren, wie nah oder fern die Auseinandersetzungen noch vom eigenen Dom waren. Mehr noch im 18. Jahrhundert rückten durch die Zeitungen die europäischen Hauptstädte und Fürstenhöfe an Hildesheim heran, und auch fernere Länder wurden bekannt. 

Im Verlaufe des 18. Jahrhundert entwickelten sich die Deutschen wegen dieser Berichterstattung zu einem Volk von Lesern, und die Zeitung wurde langsam bis hinunter in die niedrigeren Schichten zum beliebtesten Lesestoff. Ende dieses Jahrhunderts erschienen für die drei bis vier Millionen Menschen in ganz Deutschland rund 200 Zeitungen mit einer Gesamtauflage von bis zu 300.000 Exemplaren. Damit konnte sich ein gutes Drittel der männlichen Bevölkerung regelmäßig über das Weltgeschehen informieren.  Kein anderes Druckerzeugnis trug im 18. Jahrhundert mehr dazu bei, die mittleren und unteren Bevölkerungsschichten an weltlichen Lesestoff. Indem sie über die geografischen und politischen Entwicklungen in der weiten Welt einführte und die Bevölkerung mit der weiten Welt bekannt machte, wurde die Zeitung zum ersten Instrument der Erwachsenenbildung in Deutschland. 

Da die Nachrichtenblätter weiter nur selten über lokale Begebenheiten berichteten, standen die Zeitungen in ihrer überregionalen Berichterstattung auch in einer überregionalen Konkurrenz. Große Zeitungen wie der Hamburgische unpartheyische Correspondent, von dem 1705 auch Johann Christian Hermitz, der Gründer des Hildesheimer Relations-Couriers gekommen war,  erreichten am Ende des 18. Jahrhunderts in ganz Deutschland eine Auflage von 30.000 Stück, die wenige Jahre später sogar auf 56.000 Exemplaren angestiegen war.  Auch der Rat der Domstadt hatte vor der Lizensierung des Hildesheimer Relations-Couriers ein auswärtiges, nämlich in Hamburg erschienenes Nachrichtenblatt abonniert.  Im Stadtarchiv Hildesheim sind so noch heute aus dem zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts einige Jahrgänge des Hamburger Relations-Curiers archiviert. 

Mit der Genehmigung des Hildesheimer Relations-Couriers waren die Hildesheimer für internationale Meldungen nicht mehr allein auf auswärtige Blätter angewiesen, sondern konnten ihr Nachrichtenbedürfnis innerhalb der eigenen Stadtmauern befriedigen. Die Leser der evangelischen Stadtzeitung erfuhren so, dass der deutsche Kaiser seinem Generalfeldmarschall, Graf von Romanzow, ein goldenes Tabaksgefäß geschenkt hatte und der päpstliche Nuntius in Warschau an einer Feier teilnahm.  Oder sie konnten lesen, dass die Franzosen 1.800 neue Rekruten bekommen hatten, die Österreicher ein Interesse an der Region La Spezia besaßen und gegen die Hauptstadt Korsikas eine Landblockade errichtet worden war.  Solche Meldungen von internationalen Kriegsschauplätzen, ausländischen Fürstenhöfen sowie sensationelle Berichte wurden den Hildesheimern weiter einfach unkommentiert und ohne jede Gliederung hintereinander weg angeboten. 

Die Zeitung wurde dabei weniger im stillen Kämmerlein konsumiert, sondern an öffentlichen Orten wie Wirtshäusern gemeinschaftlich genossen, kommentiert und diskutiert.  In ganz Deutschland entstanden spezielle Lesegesellschaften, in denen sich oft ein Dutzend Personen ein Zeitungsabo teilte.  Es gründeten sich außerdem Lesezirkel, die selbst Analphabeten die aktuellen Geschehnisse vermittelten. Die sich immer weiter verbreitenden Zeitungen erreichten großflächig selbst die Landbevölkerung,  und in ganz Deutschland verbreitete sich eine „Zeitungswuth“.  Auch in Hildesheim entwickelten sich verschiedene “Klubs, Konditoreien usw.”  zu Orten der gemeinschaftlichen Zeitungslektüre. 

Das große Interesse an den von der evangelischen Zeitung verbreiteten Nachrichten hielt sich jedoch lediglich rund ein Jahrhundert. Ende des 18. Jahrhunderts erlebte das Interesse der Hildesheimer an der Zeitung einen Einbruch. Unabhängig davon, ob die Bevölkerung politischen Geschehnissen generell unbeteiligt gegenüber zu stehen begann  oder einfach nur der ‚katholischen‘ Hildesheimschen Zeitung den Vorzug vor der qualitativ nachlassenden Konkurrenz zu geben begann,  die Auflage der Vorläuferin der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung nahm deutlich ab. 

Damals gehörten zu den Lesern der Zeitung gebildetere Privatleute wie Lehrer, Juristen, Ärzte, Pastoren und Handwerksmeister, zudem die städtischen Verwaltungsstellen sowie die Kreisbehörden, nicht mehr jedoch die ganz einfachen Bevölkerungskreise.  Die Inhalte blieben weiter sehr begrenzt. Den Zeitungen mangelte es noch an einem speziellen Anzeigen- und Wirtschaftsteil.  Im Verlaufe der Auseinandersetzungen zwischen Preußen und Frankreich, die 1806 zur französischen Herrschaft über das Fürstentum Hildesheim führen sollte, wurde nun auch über die internationalen Begebenheiten eine scharfe Zensur errichtet, die jede Berichterstattung entwertete.  Lokale Informationen waren ebenfalls weiter nicht vorhanden.  Durch diese Beschränkung der Berichterstattung sparte die Vorgängerin der HAZ den eigentlichen Lebensbereich der Hildesheimer Leser fast vollständig aus.

Zudem dürften zumindest für die einfachen Hildesheimer die sogenannten Intelligenzblätter einen höheren Nutzwert als die zumeist politischen Berichte des 1775 in Privilegirte Hildesheimische Zeitung umbenannten Relations-Courier bedeutet haben.  Anders als die überregionalen Nachrichtenblätter waren diese Intelligenzblätter eng mit den lokalen Verhältnissen und dem Alltagsleben ihrer Leser verknüpft.  Sie enthielten neben Anzeigen jene lokalen Informationen, die für das alltägliche Leben notwendig waren, wie Preistabellen für die Grundnahrungsmittel oder die amtlichen Bekanntmachungen.  

1786
1786 hatte der Bischof auch in der Domstadt das Privileg für ein Intelligenzblatt namens Hildesheimische Anzeigen erteilt.  Das Hildesheimer Intelligenzblatt erschien als private Unternehmung bis 1792. Die Intelligenzblätter waren allgemein in Deutschland zwar grundsätzlich beliebt, rentierten sich jedoch in Hildesheim nicht,  wohl weil sie kein exklusives Recht auf die Anzeigen hatten.  
1804
Diese Konkurrenz dürfte gleichwohl nach 1786 den Niedergang der Verläuferin der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung beschleunigt haben.  Deren Ende kam kurz nach der Jahrhundertwende: 1804 wurde der 1775 in Privilegirte Hildesheimische Zeitung umbenannte Relations-Courier mit nur noch 44 Abonnenten vorläufig eingestellt.  Ein Jahr zuvor war in Magdeburg ein neues staatliches Intelligenzblatt entstanden, zu dessen Bezug im Hildesheimischen neben den offiziellen Stellen auch die adligen Gutsbesitzer, Advokaten, Kirchen, Klöster, Handwerksinnungen, Gasthäuser sowie jüdische Bürger verpflichtet wurden. Alle Privatanzeigen hatten anfangs ausschließlich in diesem Magdeburger Intelligenz-Comptoir zu erscheinen.  
1807
Wiedergeburt mit Leserservice

Als nach dem Tode der Privilegirten Hildesheimischen Zeitung nach einer Pause von drei Jahren im Jahre 1807 die Stadt-Hildesheimische privilegirte Zeitung und Anzeigen für alle Stände entstand, befand sich Hildesheim wieder in einer für die norddeutschen Lande eher seltenen publizistischen Situation: Bis zum Revolutionsjahr 1848 existierte im gesamten Hannoverschen Gebiet außer in Emden mit der Ostfriesischen Zeitung keine Zeitung, die über politische Geschehnisse berichtete. Selbst die in der Landeshauptstadt erschienene Hannoversche Morgenzeitung war eigentlich belletristischer Natur und berichtete nur eingeschränkt über Politik. Wer im Land politische Nachrichten lesen wollte, musste auf Blätter aus Bremen, Hamburg, Kassel oder Frankfurt zurückgreifen. Ausgerechnet in Hildesheim jedoch gab es gleich zwei Zeitungen und damit eine publizistische Konkurrenzsituation. 

Während sich in anderen Städten die Zeitungen entweder auf die überregionalen politischen Nachrichten oder aber auf das Anzeigenwesen konzentrierten, fehlte jedoch zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Hildesheim ein besonderes Intelligenzblatt für den Abdruck von Bekanntmachungen und privaten Anzeigen. Das für die Domstadt gültige amtliche Intelligenzblatt hatte seinen Sitz in Magdeburg und war damit weit von Hildesheim entfernt. Auch durften Hildesheimer Zeitungen seit 1804 gegen eine nach Magdeburg zu überweisende Gebühr wieder Anzeigen abdrucken. 

Als Johann Daniel Gerstenberg 1807 die Tradition der vom evangelischen Stadtrat privilegierten Zeitung wieder aufnahm, sollte das wiedergeborene Blatt deshalb sowohl die Funktion eines überregionalen Nachrichtenblattes als auch eines Intelligenzblattes vereinen und neben überregionalen Nachrichten auch lokale Anzeigen sowie Ratschläge für Hof und Garten veröffentlichen. Gerstenberg forderte zudem gleich 1807 den Status als kommunales amtliches Bekanntmachungsblatt ein, den die von der katholischen Landesherrschaft privilegierte Hildesheimsche Zeitung innehatte und den die Gerstenbergsche Zeitung ab 1812 übernahm.  Mit diesem amtlichen Status konnte die Zeitung zum einen ihren Lesern wichtige Informationen über kommunale Angelegenheiten zugänglich machen. Zugleich war damit ein Grundstock an Auflage verbunden, denn die Zeitung wurde damit für die örtlichen Bürgermeister und Entscheidungsträger zum Pflichtblatt.

So begann das Wiedererscheinen der HAZ-Vorgängerin mit internationalen Meldungen und Anzeigen sowie - um den Nutzen für die Leser zu erhöhen – mit „Belehrung und Unterhaltung“.  Die Zeitung erhielt dazu 1808 eine besondere Sonntagsbeilage, die die Käufer fesseln sollte.  Um die Verbindung zur Leserschaft zu erhöhen, versuchte Gerstenberg gezielt die Abonnenten an der Gestaltung zu beteiligen. Die Leser wurden deshalb aufgerufen, ihre eigenen „Erfahrungen in der Naturkunde, der Lebenskunst, dem Ackerbau und in der Haushaltung“ mitzuteilen.  Der ganze hintere Teil der Gerstenbergschen Zeitung war auf diese Weise als Intelligenzblatt gestaltet. Dieser Teil enthielt zumeist drei oder vier Aufsätze oder Erzählungen, bei denen es sich auch um Fortsetzungen handeln konnte. Thematisiert wurden die Stadtgeschichte, Tipps und Tricks für die Land- und Gartenwirtschaft oder landeskundliche Beiträge. Die Leser erfuhren so, wie man den in Europa noch neuen Mais nutzt, seine Gewächse vor Erdflöhen schützt oder Kastanien zieht.  Mit diesen Texten wurden die Leser für das Fehlen lokaler Informationen entschädigt, deren Veröffentlichung weiterhin nicht zugelassen war. 

Mit dieser Mischung richtete sich die Zeitung ausdrücklich nicht nur an einige gebildete Leser, sondern an sehr breite Bevölkerungsschichten, weshalb sich die Stadt-Hildesheimische privilegirte Zeitung und Anzeigen 1807 den bis Mitte des 19. Jahrhunderts gültigen Zusatz „für alle Stände“ zulegte.

Anders als die häuslichen Tipps und Tricks scheinen dagegen die überregionalen politischen Meldungen für die Leser zu Beginn des 19. Jahrhunderts relativ unergiebig gewesen zu sein. Unter Napoleons Bruder Jérôme, König von Westfalen, der seit 1806 auch über Hildesheim herrschte, hatte die zuvor schon übliche Zensur noch zugenommen. Die Berichterstattung der Zeitungen begann in der Folge mit Meldungen und Verordnungen aus der neuen westfälischen Hauptstadt Kassel.  Ab 1810 durften die überregionalen Nachrichten sogar nur noch wörtlich aus dem in Kassel erschienenen Zentralorgan Moniteur sowie aus anderen französischen Zeitungen abgeschrieben werden.  Eine aktuelle Berichterstattung war nicht vorhanden, die Meldungen waren teilweise bis zu acht Wochen alt.  Politische Themen, die die Öffentlichkeit hätte interessieren können, waren nicht erlaubt.  Die für Napoleon ungünstigen Kriegsmeldungen wurden unterdrückt oder sogar in ihr Gegenteil verkehrt.  So kam es, dass in der Zeit Napoleons „die damaligen Zeitungsmeldungen fast ausschließlich von dem unsterblichen Ruhm des politischen Diktators sprachen“  und Verleger Gerstenberg keine Chance sah, dem Interesse der Leser nach politischen Meldungen entgegen zu kommen. 

Während sich die Möglichkeiten der internationalen Berichterstattung nach dem Abzug der Franzosen wieder verbesserten, konnten sich die Leser über Geschehnisse, die im wirtschaftspolitischen oder kommunalen Gebiet wurzelten, in weiten Teilen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weiter nicht informieren.  Große Mühe machte das Zusammenstellen der Zeitung deshalb nicht. Noch 1842 war die redaktionelle Tätigkeit eher „gering und wenig zeitraubend“, Meldungen und Nachrichten wurden von anderen Zeitungen genommen,  hinzu kamen vereinzelt Berichte über Naturereignisse aus der Stadt selbst und der näheren Umgebung.  Den Lesern schien dieses Angebot jedoch durchaus zu genügen. Die Auflage stieg von 300 Stück im Jahre 1807 auf 540 im Jahr 1819 und erreichte im Jahr 1834 den Hochpunkt von 1.350 Exemplaren.  Damit wurde ein großer Teil der rund 14.000 Einwohner der Stadt erreicht.

Die Bedürfnisse der Bevölkerung nach Orientierung in ihrem lokalen Umfeld deckte die Hildesheimische Zeitung und Anzeigen, wie die spätere Hildesheimer Allgemeine Zeitung jetzt hieß, vor allem mit der Marktberichterstattung. Nach der Wiedergründung 1807 erschienen in der Zeitung monatlich die von der Polizei amtlich festgesetzten Brot-, Fleisch- und Fruchtpreise. Nach der Preisfreigabe wurden Preisberichte gedruckt, die die Leser über die Marktlage informierten. 

Als die Franzosen die Gewerbefreiheit einführten, bedeutete dies einen starken Aufschwung des Anzeigenwesens, da nun die Hersteller von Produkten deren Vorzüge anzupreisen begannen.  Das Anzeigengeschäft ermöglichte der Presse dabei „erstmals einen konsequent lokalen Bezug“,  indem die Zeitungen damit die wirtschaftlichen Bedingungen vor Ort spiegelten. Während diese ökonomischen Informationen für die normale Bevölkerung von Interesse waren, blieben die abgedruckten Wertpapierberichte der Börsen aus Kassel, Hannover, Braunschweig und Magdeburg  aber lediglich für eine sehr kleine besitzende Schicht von Belang.

Wichtig für die Leserschaft waren neben den Wirtschaftsanzeigen auch die Kleinanzeigen und amtlichen Inserate.  In letzteren wurden zum einen die vom Gericht beaufsichtigten Zwangsverkäufe angekündigt, zum anderen sollten sich anlässlich von Konkursverfahren Gläubiger melden. Privatverkäufer boten in der Zeitung Grund und Boden an, Advokaten priesen ihre Künste. Vieh und andere landwirtschaftliche Produkte wurden angeboten, Wohnungen vermietet und Geld zum Verleih gegeben.  Für die Vermittlung von Stellen entwickelten sich die Zeitungen gar zum exklusiven Ort. 

Bis weit in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein war es aber vor allem die Unterhaltung, die die Leser von ihrer Zeitung verlangten. Der Verleger handelte „in dem Bewusstsein, daß nur ein möglichst hoher Stamm von ‚Unterhaltungslesern‘ die Existenz seiner Zeitung garantierte. Bei allen seinen Überlegungen mußte er diese Zielgruppe im Auge haben, und er dürfte sich im wesentlichen als Kind seiner Zeit auch mit diesem Zustand begnügt haben“.  

1813
Leser verlangen Politisierung

Vor allem nachdem das Ende Napoleons dazu geführt hatte, dass die Sieger in Deutschland die politischen Verhältnisse wieder stark autoritär restaurierten, wuchs gleichzeitig das politische Bewusstsein und der Protest in der Bevölkerung, die von den Zeitungen auch eine Kommentierung und die Beschäftigung mit kommunalen Angelegenheiten zu fordern begann. Aufgrund der politischen Zensur konnte die HAZ-Vorgängerin jedoch diese Wünsche der Leser anfangs nur sehr eingeschränkt erfüllen. 

Hildesheim wurde nach dem Ende der französischen Fremdherrschaft 1813 dem Königreich Hannover eingegliedert, das in Personalunion mit dem britischen König befand. Die HAZ-Vorläuferin berichtete jedoch weiter lediglich über die großen, internationalen politischen Ereignisse, so das Geschehen am königlichen Hof in London, etwa den Scheidungsprozessen von König Georg IV.  Informationen aus Hildesheim und Umgebung waren zumeist nur enthalten, insofern es sich um Naturereignisse und derlei Geschehnisse handelte.  

1830
Die politische Begünstigung des Adels, die erneute Hemmung von Handel und Gewerbe, die nach Abzug der Franzosen wieder eingeführte Leibeigenschaft, die fehlende Mitwirkung bei der Wahl der Bürgermeister und die Knechtung der Bauern durch hohe Steuerlasten entwickelte sich zwar 1830 in Hildesheim zu Volksprotesten, die auch die Forderung nach Pressefreiheit umfassten. Über alle diese Probleme durfte jedoch in der HAZ-Vorläuferin noch nicht berichtet werden: „Schweigen mußte die Presse über die große Menge politischer Uebel in unserm Lande, die wie eine dunkle Wetterwolke Unheil drohten.“ 

Erst im weiteren Verlauf der 1830er Jahre lockerte sich in Hildesheim die Zensur.  In ihrer Folge konnten die Leser sich erstmals mit Leserbriefen an der Gestaltung der Zeitung beteiligen, es erschienen kommentierende Leitartikel, und Ansätze einer öffentliche Debatte entstanden. Die Hildesheimer verlangten nun offen eine Berichterstattung aus der eigenen Stadt, und lokale Informationen wurden wichtiger,  jedoch gab es noch keine parteipolitisch geführten Auseinandersetzungen. Denn es „ermangelte [...] einerseits wohl dem ‚Redakteur‘ und den ‚Parteiführern‘ noch des Mutes, unter der Angabe ihres Namens durch entsprechende Ausdruckgebung ihrer Ueberzeugung in der Zeitung auf die Willensbildung anderer einzuwirken, andererseits kam man wohl zufolge traditioneller Einstellung noch nicht auf den Gedanken, die politische Presse diesem Zwecke nutzbar zu machen“.  Als die Personalunion von Hannover und Großbritannien 1837 aufgelöst und Hannover verselbständigt wurde, nahm die Zensur wieder zu,  trotzdem blieb die Bevölkerung politisch sensibilisiert und interessiert. 

Zu einem parteipolitischen Engagement der Zeitungen kam es seit Ende der 1830er Jahre, als sich im Königreich Hannover und auch in Hildesheim ein politischer Richtungsstreit zwischen Liberalen und Konservativen entwickelte. Dieser schlug sich nach und nach in Ansätzen auch in den Zeitungen nieder, und in ganz Deutschland verlangte die Bevölkerung vor allem in den Jahren vor der Revolution von 1848 immer mehr nach Parteiblättern.  Während die traditionell evangelische Zeitung des Gerstenberg-Verlags sich seit Anfang der 1840er Jahre zu liberalen Ideen hingezogen fühlte, hielt es die katholisch orientierte Hildesheimsche Zeitung seit Ende der 1830er Jahre mit den Konservativen.  Für die Leser wurde dieser politische Unterschied jedoch wegen der staatlichen Zensur lediglich in der Art und Weise der Zusammenstellung der Meldungen deutlich: Die Zeitungen bekannten durch die Auswahl der „Nachrichten aus größeren deutschen Tagesblättern gleicher Richtung ihre Parteifarbe“.  „Nur durch allerlei Kunstgriffe und Umschweife gelang es, die Hülle hin und wieder zu lüften.“  Gleichwohl kam es vereinzelt zum Abdruck „tendentiöser Artikel“,  die zusehends auch kommunale Angelegenheiten betrafen: Die Gerstenbergsche Zeitung informierte ihre Leser immer dort, „wo es galt, auf irgendeinem Gebiete Neuerungen zu vertreten oder bestehendes zu kritisieren“.  Sie brachte Beiträge über die Notwendigkeit der öffentlichen Erneuerung des Straßenpflasters oder begrüßte die Arbeit einer Ortsgruppe liberaler Katholiken.  Dabei spitzte sich der religiös-politische Konflikt zwischen den Konfessionen zu und spaltete schließlich die Stadt soweit, dass 1845 die katholischen Geistlichen „die Lesung [...] der Gerstenbergschen Zeitung aber bei Kirchenbuße und Verdammnis verboten“.  Obwohl die Zeitungen durch die Nachrichtenauswahl bestimmten politischen Lagern zugehörten und die Öffentlichkeit dies durchaus auch wusste, wurde die politische Richtung weiter nur indirekt deutlich, und die Zeitungen konnten wegen der Zensur weiter keinerlei prägenden Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen. Die Redaktionen jener Zeit brachten noch immer lediglich Nachrichten, direkte politische Äußerungen oder gar Handlungsaufforderungen waren damals noch das Geschäft anonymer Flugschriften, in denen etwa über die zu hohen Steuerlasten geklagt werden konnte.  

1848
Direkt politisch wurden die Zeitungen Hildesheims erst im Zuge der bürgerlichen 1848er-Revolution. Selbst wenn es in der Domstadt keine Ausschreitungen gegeben hatte, wirkte sich diese Revolution auch in Hildesheim aus, etwa durch die Auswechslung der kommunalen Spitze. Nun fanden politische Forderungen wie die nach der Pressefreiheit ihren Platz selbst auf der Titelseite, und die Zeitung nahm wie schon kurzzeitig zu Anfang der 1830er Jahre wieder kommentierende Leitartikel auf.  Indem sie auch politische Beiträge druckte, öffnete sich die HAZ-Vorgängerin damit den lang gehegten Wünschen der Leserschaft: „Forderungen des Publikums aus Stadt und Land erhielten einen immer breiteren Raum.“  Dabei ging es der Bevölkerung jedoch weniger um übergreifende allgemeine Forderungen als um die Missstände im lokalen Raum, die die Gerstenbergsche Zeitung „im Sinne der hier herrschenden Volksanschauungen“  aufgriff. Das Blatt forderte so beispielsweise lautstark eine Verbesserung des Zustandes der arbeitenden Klassen der Region oder die Gleichstellung der unteren Schichten. 

Mit der Stadtverfassung von 1851/52 erwarb Hildesheim die Anfang des Jahrhunderts verlorene Selbständigkeit in der Verwaltung zurück, und ein frei gewählter Magistrat entstand,  so dass die Gerstenbergsche Zeitung nun direkten Einfluss auf die Gestaltung der Hildesheimer Stadtpolitik und die Ausgestaltung des kommunalen Gemeinwesens nehmen konnte.  Als Mittel der Diskussion und des Gedankenaustauschs trug die Zeitung in der Folge dazu bei, neue kommunalpolitische Vorstellungen zu entwickeln und den selbstbestimmten Aufbau kommunaler Strukturen zu fördern.  Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die GerstenbergscheHildesheimer Allgemeine Zeitung und Anzeiger damit im großen und ganzen „ihre endgültige Gestalt und ihren modernen Charakter“ erhalten.  

1867
Zeitung im Spiegel der politischen Mächte

Die Hildesheimer Allgemeine Zeitung richtete sich im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anders als heute nicht an die ganze Bevölkerung, sondern seit Mitte des Jahrhunderts vor allem an liberale Leser und ab 1867 vor allem an die Sympathisanten der Nationalliberalen Partei, als deren Organ sich die Zeitung bekannte.  Nicht nur politisierte sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Öffentlichkeit, auch durch das politische Engagement ihrer Eigentümer wurde die Hildesheimer Allgemeine Zeitung Teil der parteipolitischen Auseinandersetzungen. Denn nicht nur die Zeitung war parteinah, auch die Gerstenbergs selbst engagierten sich auf der öffentlichen Bühne. Der Verleger Albert Gerstenberg war seit den 1860er Jahren Vorsitzender der Handelskammer, Abgeordneter im preußischen Landtag sowie kommunalpolitisch aktiv. Sein Sohn Albert setzte dieses Engagement fort.  Die Zeitung wurde in der Folge „zu dem zeitweise maßgeblichen Parteiblatte in der Provinz“.  Die Hildesheimer Allgemeine Zeitung war mit dem Engagement der Verleger - wie weitestgehend die ganze deutsche Presse - fest in kommunale Machtstrukturen eingebunden,  eine Stellung, die sie auch in den nächsten Jahrzehnten beibehalten sollte. Das Interesse der Bevölkerung an dieser Hildesheimer Allgemeinen Zeitung stieg insbesondere seit den 1850er Jahren an. Nachdem die Auflage in den 1840er Jahren noch bei täglich 1.200 Stück stagniert hatte, wurden 1859 täglich rund 1.500 Stück verkauft, 1896 schon das vierfache, 5.000 Exemplare. Die Einwohnerzahl Hildesheims hatte sich in dieser Zeit von 17.000 auf 39.000 lediglich gut verdoppelt. 

Die politische Ausrichtung von Zeitung und Verlegerfamilie traf insbesondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Interessenlage der Leserschaft. In der Konkurrenz der Hildesheimer Zeitungen entwickelte sich die Hildesheimer Allgemeine Zeitung Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts zunächst zur auflagenstärksten Zeitung und ließ mit ihrer liberalen Weltsicht die anfangs noch führenden Konkurrenten Hildesheimer Kurier und Hildesheimsche Zeitung bald deutlich hinter sich. In den ersten anderthalb Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts vervierfachte sich die Auflage erneut. 1915 gab das Blatt schließlich an, soviel Exemplare zu verkaufen, wie alle anderen Konkurrenten zusammen. 

Nicht nur das nationalliberale Bürgertum mit der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung, sondern auch andere Parteien hatten in Hildesheim ihnen politisch zuneigende Zeitungen. Jede große politische Strömung außer den Sozialdemokraten konnte im Kaiserreich in Hildesheim auf ein eigenes Blatt zurückgreifen. Die Bauernschaft und Konservativen lasen den Hildesheimer Kurier. Zur Befriedigung der katholischen Oberen entwickelte sich die Hildesheimsche Zeitung seit Mitte des 19. Jahrhunderts zum Blatt der Zentrumspartei, eine Konfessionspartei für alle Katholiken vom adligen Großgrundbesitzern bis zu christlichen Gewerkschaftern. Offiziell parteilos war bis zum ersten Weltkrieg lediglich das 1890 gegründete Hildesheimer Tageblatt, das für die Hildesheimer Allgemeine in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts die größte Konkurrenz bedeutete.  Eine fünfte Zeitung, der ebenfalls 1890 gegründete General-Anzeiger, konnte sich lediglich bis Mitte des Jahrzehnts halten und starb nach einigen Umbenennungen. 


Abbildung 1: Auflagenentwicklung wichtigster Hildesheimer Tageszeitungen 1899 bis 1939 (hier in größerer Auflösung).

Der erste Weltkrieg und die Nachkriegsschwierigkeiten bedeuteten für die Hildesheimer Presse insgesamt eine Zäsur, die führende Position der Hildesheimer Allgemeinen bei den Lesern konnte jedoch nicht gefährdet werden. Dagegen verschwand der 1869 gegründete Hildesheimer Kurier 1921 vom Markt,  das 1890 gegründete Hildesheimer Tageblatt bereits 1914.  

1918
Nach dem Weltkrieg kam als starker neuer Konkurrent das sozialdemokratische Hildesheimer Volksblatt hinzu, das 1925 die Auflage der Hildesheimer Allgemeinen fast erreicht hatte (Abbildung 1). Die Hildesheimer Allgemeine Zeitung unterstützte in der Weimarer Republik die rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP), die zwar beständig die in Berlin herrschenden Kabinette mittrug,  die jedoch insbesondere nach 1929 durch eindeutig rechts stehende, die Demokratie ablehnende Strömungen geprägt wurde.  Diese beiden Blätter sowie die weiterhin der katholischen Zentrumspartei zuneigende Hildesheimsche Zeitung unterstützten damit politisch die von den Sozialdemokraten, bürgerlichen Demokraten und der DVP getragene Regierungspolitik der Weimarer Republik. Sie vereinigten den größten Teil der Zeitungsauflage der Domstadt auf sich (Abbildung 2). 
1929

Abbildung 2: Auflagenanteile der Hildesheimer Tageszeitungen 1929 (Gesamtauflage 44.000 Exemplare täglich).

Zusätzlich erschien in der Domstadt jedoch seit 1923 das Hildesheimer Abendblatt , eine Tochter der Niederdeutschen Zeitung aus Hannover.  Diese rechtsextreme Zeitung „fand Anklang in Kreisen, die ein solches Blatt bislang entbehren mussten“:  Die Zeitung richtete sich an jene Hildesheimer, die die Republik offen ablehnten und bekämpften.  Wie die 1929 rund 6.000 Käufer zeigen, scheint die Zahl rechtsextremer Bürger in Hildesheim nicht gering gewesen zu sein. 

Eine inhaltliche Untersuchung der Zeitungsinhalte, insbesondere auch in der politisch bewegenden Zeit des ersten Weltkriegs und der Weimarer Republik, steht zwar noch aus, alle diese Hildesheimer Zeitungen beteiligten sich jedoch rege an den politischen Debatten der Zeit, die schließlich zum Ende der Demokratie führten.  

1933
1933 übertrug ein breites Bündnis bürgerlicher und rechter Parteien, darunter auch die von der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung unterstützte DVP, die Macht in der demokratischen Weimarer Republik der NSDAP. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten veränderte sich die Landschaft der politischen Tagespresse Hildesheim im 20. Jahrhundert ein zweites Mal.

Nationalsozialismus als Zäsur

Das sozialdemokratische Hildesheimer Volksblatt wurde im April 1933 zwangsweise geschlossen und deren Einrichtungen dem 1932 gegründeten nationalsozialistischen Hildesheimer Beobachter übertragen.  Auch das Hildesheimer Abendblatt ging noch 1933 ein,  und dessen Leser wurden von der NS-Presse übernommen. 

Im Nationalsozialismus wurden die Lokalzeitungen zum wichtigen Vehikel völkischer Politik: „Ebenso unzertrennlich wie Kirche und Rathaus mit Stadt und Dorf ist das Heimatblatt mit der Heimat verbunden. Tief in der Heimaterde verwurzelt, empfängt die Heimatzeitung aus den Urelementen des Bodens und des Volkstums Kraft und Leben,“ priesen NS-Zeitungsforscher die neue Zeit. Die Zeitungen agierten nun nicht mehr als die Organe politischer Parteien, sondern hatten den Vorgaben der nationalsozialistischen Machthaber zu folgen, die statt der unterschiedlichen Parteien nur noch Volksgenossen kannten. Sämtliche noch bestehende Blätter hatten ungeachtet ihrer vorherigen politischen Ausrichtung nur noch nationalsozialistischen Propagandavorgaben zu folgen und wurden zusehends inhaltlich eintönig,  auch die ehemals der Volkspartei zuneigende Hildesheimer Allgemeine und die katholische Hildesheimsche Zeitung. Die beiden von diesen Zeitungen unterstützten Parteien hatten sich bereits Ende Juni bzw. Anfang Juli 1933 aufgelöst. 

Für viele Leser scheint die politische Instrumentalisierung der Zeitungen durch den NS-Staat jedoch zu weit gegangen sein. Auf der einen Seite stieg in Hildesheim die Nachfrage nach dem örtlichen NS-Blatt, auf der anderen Seite sank die Auflage der bürgerlichen Blätter deutlich (Abbildung 1). Viele Leser kehrten den Zeitungen vollständig den Rücken zu. In Hildesheim kam es deshalb zu einem drastischen Rückgang der Gesamtauflage, die von rund 45.000 im Jahr 1929 auf nur noch etwa 30.000 Exemplare im Jahr 1937 und damit binnen weniger Jahre um ein Drittel fiel. 

1937

Abbildung 3: Auflagenanteile und -verluste der 1937 noch existierenden Hildesheimer Tageszeitungen (Gesamtauflage 30.000 Exemplare täglich), bezogen auf 1929 (Auflage 44.000).

Die mittlerweile mit der ebenfalls katholischen Hannoverschen Volkszeitung verbundene und in Landespost umbenannte frühere Hildesheimsche Zeitung,  die Anfang der 30er Jahre noch mehr als 11.000 Exemplare abgesetzt hatte,  verkaufte nach der nationalsozialistischen Machtergreifung täglich nur noch 8.700 Stück.  Die katholischen Leser wandten sich zusehends von ihrer Landespost ab, die schließlich 1939 nur noch eine Auflage von 7.400 Exemplaren erreichte  und damit in nicht einmal zehn Jahren mehr als ein Drittel der Leser verloren hatte.  Die konfessionell gebundene Leserschaft fühlte sich von der nationalsozialistisch gleichgeschalteten ehemals katholischen Presse nicht mehr angesprochen, zumal die Zeitung verdeckt auch in das Eigentum der NSDAP gelangt sein dürfte.  1939 wurde die Landespost schließlich eingestellt  bzw. vom nationalsozialistischen Hildesheimer Beobachter als Nebentitel übernommen. 

Für das Agieren der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung im Nationalsozialismus fehlen noch Untersuchungen. Deutlich scheint jedoch, dass sich die Zeitung bereits recht früh zumindest einer nationalsozialistischen Begrifflichkeit annahm. So wurde die Premiere von Bert Brechts „Dreigroschenoper“ im Stadttheater im Februar 1933 als „salonbolschewistische Sumpfblasen“ verunglimpft.  Auch die HAZ verlor gegenüber den 1920er Jahren ein Drittel der Auflage. 1934 musste die Zeitung mit einem Absatz von 10.200 Stück erstmals dem nationalsozialistischen Hildesheimer Beobachter den Vortritt lassen, der täglich 11.700 Exemplare verkaufte. Allerdings konnte die HAZ in den späteren 30er Jahren wieder Leser dazu gewinnen. Nach einem Tiefpunkt von etwas mehr als 10.000 Exemplaren stieg die Auflage der Gerstenbergschen Zeitung bis 1939 wieder auf 11.000 an, blieb allerdings damit weiter hinter der NS-Tageszeitung zurück, die täglich 13.200 Stück verkaufte. 

1943
Anders als die Hildesheimsche Zeitung/Landespost überlebte die Hildesheimer Allgemeine Zeitung auch diverse Wellen nationalsozialistischer Zeitungsschließungen. Sie bekam offenbar keine existenzbedrohenden Probleme mit der nationalsozialistischen Pressepolitik und konnte immerhin bis in die Notzeiten des Zweiten Weltkrieges erscheinen. Erst im April des Jahres 1943 „griff der totale Krieg noch einmal tief in das Gefüge des Presseaufbaus ein“.  Die Gerstenbergsche Zeitung wurde deshalb aus kriegswirtschaftlichen Gründen mit dem nationalsozialistischen Hildesheimer Beobachter und der Provinzial-Zeitung aus Bockenem zur Hildesheimer Zeitung vereinigt  - eine Fusion, deren Geschichte noch im Dunkeln liegt. Mit dem Kriegsende wurde diese Hildesheimer Zeitung schließlich Anfang April geschlossen. 
1945
Neustart nach dem Krieg

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus ab 1945 erlebte die Hildesheimer Allgemeine Zeitung zunächst eine zusätzliche Zwangspause von vier Jahren, die alle Verleger einzuhalten hatten, die im NS-Staat Zeitungen produziert hatten. Die Printmedien galten in den Augen der anglo-amerikanischen Invasionstruppen als ein zentrales „powerful instrument in the hands of the ruling group“.  Deshalb sollten nach dem zweiten Weltkrieg Verleger und Journalisten, die nach 1933 bei irgendeiner Zeitung tätig waren, beim Neuaufbau der Presse ausscheiden.  Die Folge war eine weitere Umwälzung der Presse in Hildesheim.

Den Beginn der Presse machte zunächst zwar wieder die Buchdruckerei Gebr. Gerstenberg, die im April, Mai und Juni 1945 lediglich je einmal das Nachrichtenblatt für Stadt und Land Hildesheim/Veröffentlichungsorgan der Stadtverwaltung Hildesheim und anderer Behörden herausgab.  Von diesem Intermezzo abgesehen veröffentlichten die Alliierten jedoch anfangs lediglich eigene Nachrichtenblätter, für Hildesheim den Neuen Hannoverschen Kurier, der ab Juli 1945 auch eine eigene Hildesheimer Lokalausgabe bekam (zur Nachkriegspresse siehe hier). 

Mit der auf diese Militärzeitungen folgenden Lizensierung gänzlich neuer und unbelasteter deutscher Zeitungen sollte es dann zu dem totalen Traditionsbruch im deutschen Zeitungswesen kommen.  Die britische Besatzungszone genehmigte für Hildesheim ab Anfang Juli 1946 die parteinahen Zeitungen Hannoversche Presse (sozialdemokratisch), Neueste Hannoversche Nachrichten (christdemokratisch), Abendpost (freidemokratisch), Deutsche Volkszeitung (der konservativen ‘Niedersächsischen Landespartei’ nahe stehend) und Hannoversche Volksstimme (kommunistisch), die allesamt von gänzlich unbelasteten Verlegern herausgegeben wurden. Diese Blätter wiesen zwar unterschiedliche Hildesheimer Regional- oder Lokalteile auf, stammten aber aus Hannover oder Celle.  Ergänzt wurden diese Zeitungen deshalb ab vermutlich 1947 durch den Öffentlichen Anzeiger für Stadt Hildesheim und Landkreis Hildesheim-Marienburg, der ab 1948 Hildesheimer Öffentlicher Anzeiger hieß und nicht von Gerstenberg, sondern vom Verlag Lax in Hildesheim herausgegeben wurde  und wie die früheren Intelligenzblätter lediglich Anzeigen und Bekanntmachungen enthielt. 

1949
Eine Rückkehr traditioneller Verleger in das Tageszeitungsgeschäft oder ein Wiederaufleben älterer Zeitungstitel gab es 1949 erst nach dem Erlass des Grundgesetzes, als der alliierte Einfluss schwand und Pressefreiheit verkündet wurde.  Auch die Hildesheimer Allgemeine Zeitung konnte nun wieder entstehen und musste sich gegen die zuvor gegründeten Parteiblätter durchsetzen. Da die Hildesheimer Allgemeine Zeitung anders als in dem Jahrhundert zuvor nun als überparteiliches Blatt wiedergeboren wurde und die vorher gegründeten Parteizeitungen in der Nachkriegszeit das Interesse der Leser verloren, konnte sie sich durchsetzen und ist heute die einzige Zeitung am Platze. Die Auflage, die nach der Wiedergründung 1949 noch 13.200 Exemplare betragen hatte, stieg schnell und erreichte 1955 bereits 24.700 Stück. 1970 wurden täglich 37.100 Exemplare vertrieben, heute erreicht die Zeitung täglich rund 48.000 Käufer. 

Insgesamt gelang es der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung so über 300 Jahre hinweg, als sich wandelndes Produkt auf jeweils unterschiedlichen Wegen die vom Wechsel der Zeiten und Moden geprägten Bedürfnisse der Leser zu stillen - anfangs als Nachrichtenblatt mit überregionaler Berichterstattung, dann zusätzlich mit Anzeigen und gelehrten Artikel, später als parteipolitisch engagiertes Lokalblatt und heute als überparteiliche Heimatzeitung. Die dabei erfolgende beständige Anpassung an den Lesergeschmack ist neben den langjährigen rechtlichen und Eigentumskontinuitäten, neben der Namens- und Produkttradition eine wesentliche stabile Komponente in der dreihundertjährigen Geschichte der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung.

Stefan Matysiak

Der Vorläufer der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung, der Hildesheimer Relations-Courier von 1705

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
 
 
 
 

 
 
 
 
 
 
 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
 

 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 

     
Kernbereiche des Textes

Für das Agieren der Gerstenbergschen Zeitung im Nationalsozialismus fehlen noch Untersuchungen. Deutlich scheint jedoch, dass sich die Zeitung bereits recht früh zumindest einer nationalsozialistischen Begrifflichkeit annahm. So wurde die Premiere von Bert Brechts „Dreigroschenoper“ im Stadttheater im Februar 1933 als „salonbolschewistische Sumpfblasen“ verunglimpft. Auch die Hildesheimer Allgemeine Zeitung verlor gegenüber den 20er Jahren ein Drittel der Auflage. 1934 musste die Zeitung mit einem Absatz von 10.200 Stück erstmals dem nationalsozialistischen Hildesheimer Beobachter den Vortritt lassen, der täglich 11.700 Exemplare verkaufte. Allerdings konnte die HAZ in den späteren 30er Jahren wieder Leser dazu gewinnen. Nach einem Tiefpunkt von etwas mehr als 10.000 Exemplaren stieg die Auflage der Gerstenbergschen Zeitung bis 1939 wieder auf 11.000 an, blieb allerdings damit weiter hinter der NS-Tageszeitung zurück, die täglich 13.200 Stück verkaufte.

Anders als die Hildesheimsche Zeitung/Landespost überlebte die Hildesheimer Allgemeine Zeitung auch diverse Wellen nationalsozialistischer Zeitungsschließungen. Sie bekam offenbar keine existenzbedrohenden Probleme mit der nationalsozialistischen Pressepolitik und konnte immerhin bis in die Notzeiten des Zweiten Weltkrieges erscheinen. Erst im April des Jahres 1943 „griff der totale Krieg noch einmal tief in das Gefüge des Presseaufbaus ein“. Die Gerstenbergsche Zeitung wurde deshalb aus kriegswirtschaftlichen Gründen mit dem nationalsozialistischen Hildesheimer Beobachter und der Provinzial-Zeitung aus Bockenem zur Hildesheimer Zeitung vereinigt - eine Fusion, deren Geschichte noch im Dunkeln liegt. Mit dem Kriegsende wurde diese Hildesheimer Zeitung schließlich Anfang April geschlossen.

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus ab 1945 erlebte die Hildesheimer Allgemeine Zeitung eine zusätzliche Zwangspause von vier Jahren, die alle Verleger einzuhalten hatten, die im NS-Staat Zeitungen produziert hatten. Die Printmedien galten in den Augen der anglo-amerikanischen Invasionstruppen als ein zentrales „powerful instrument in the hands of the ruling group“. Deshalb sollten nach dem zweiten Weltkrieg Verleger und Journalisten, die nach 1933 bei irgendeiner Zeitung tätig waren, beim Neuaufbau der Presse ausscheiden. Die Folge war eine weitere Umwälzung der Presse in Hildesheim.

Den Beginn der Presse machte zunächst zwar wieder die Buchdruckerei Gebr. Gerstenberg, die im April, Mai und Juni 1945 lediglich je einmal das Nachrichtenblatt für Stadt und Land Hildesheim/Veröffentlichungsorgan der Stadtverwaltung Hildesheim und anderer Behörden herausgab. Von diesem Intermezzo abgesehen veröffentlichten die Alliierten jedoch anfangs lediglich eigene Nachrichtenblätter, für Hildesheim den Neuen Hannoverschen Kurier, der ab Juli 1945 auch eine eigene Hildesheimer Lokalausgabe bekam.

Mit der auf diese Militärzeitungen folgenden Lizensierung gänzlich neuer und unbelasteter deutscher Zeitungen sollte es dann zu dem totalen Traditionsbruch im deutschen Zeitungswesen kommen. Die britische Besatzungszone genehmigte für Hildesheim ab Anfang Juli 1946 die parteinahen Zeitungen Hannoversche Presse (sozialdemokratisch), Neueste Hannoversche Nachrichten (christdemokratisch), Abendpost (freidemokratisch), Deutsche Volkszeitung (der konservativen ‘Niedersächsischen Landespartei’ nahe stehend) und Hannoversche Volksstimme (kommunistisch), die allesamt von gänzlich unbelasteten Verlegern herausgegeben wurden. Diese Blätter wiesen zwar unterschiedliche Hildesheimer Regional- oder Lokalteile auf, stammten aber aus Hannover oder Celle. Ergänzt wurden diese Zeitungen deshalb ab vermutlich 1947 durch den Öffentlichen Anzeiger für Stadt Hildesheim und Landkreis Hildesheim-Marienburg, der ab 1948 Hildesheimer Öffentlicher Anzeiger hieß und nicht von Gerstenberg, sondern vom Verlag Lax in Hildesheim herausgegeben wurde und wie die früheren Intelligenzblätter lediglich Anzeigen und Bekanntmachungen enthielt.

Eine Rückkehr traditioneller Verleger in das Tageszeitungsgeschäft oder ein Wiederaufleben älterer Zeitungstitel gab es erst nach dem Erlass des Grundgesetzes, als der alliierte Einfluss schwand und Pressefreiheit verkündet wurde. Auch die Hildesheimer Allgemeine Zeitung konnte nun wieder entstehen und musste sich gegen die zuvor gegründeten Parteiblätter durchsetzen. Da die Hildesheimer Allgemeine Zeitung anders als in dem Jahrhundert zuvor nun als überparteiliches Blatt wiedergeboren wurde und die vorher gegründeten Parteizeitungen in der Nachkriegszeit das Interesse der Leser verloren, konnte sie sich durchsetzen und ist heute die einzige Zeitung am Platze. Die Auflage, die nach der Wiedergründung 1949 noch 13.200 Exemplare betragen hatte, stieg schnell und erreichte 1955 bereits 24.700 Stück. 1970 wurden täglich 37.100 Exemplare vertrieben, heute erreicht die Zeitung täglich rund 48.000 Käufer.

 (c) Matysiak, Stefan Matysiak